An die Innenminister der Länder
Gamer sind keine Amokläufer - Vorschläge für praktische Problemlösungen statt populistischen Unfugs
Sehr geehrter Herr Minister,
seit Jahren befassen sich Fachleute im Deutschen Bundestag mit dem Thema „Computerspiele". Schon 2007 (in dieser Legislaturperiode) ging es um die Frage, ob und welche Wirkung gewalthaltige Computerspiele auf jugendliche eGamer haben und ob zwischen solchen Computerspielen, dem eSport und realen Gewalttaten ein direkter ursächlicher Zusammenhang zu sehen ist. Als eines der Ergebnisse aller seither durchgeführten Anhörungen und Expertengespräche lässt sich festhalten, dass sich eine solche Kausalität wissenschaftlich nicht nachweisen lässt und sie demnach, auch im Falle Winnenden, falsch und herbeigeredet ist.
Dies findet auch in allen seriösen wissenschaftlichen Studien zu diesem Themenkomplex ausnahmslos Unterstützung. Selbst Prof. Pfeiffer vom kriminologischen Institut Niedersachsen, der eine abweichende Meinung vertritt, betont, dass von einer „blutigen Spur der durch den Konsum von Computerspielen ausgelösten Gewalt" keine Rede sein kann. Ein über die bereits bestehenden Normen hinausgehendes Verbot von so genannten Killerspielen erscheint daher unbegründet und nicht sinnvoll. Zu Recht wird dieser Standpunkt auch von einem fachkundigen Teil von Kollegen aus der CDU/CSU-Bundestagsfraktion vertreten.
Vor diesem Hintergrund habe ich daher mit großem Erstaunen und mit noch größerer Irritation die aktuellen Beschlussfassungen zu einem Verbot von "Killerspielen", ein Begriff, den es nur in Deutschland gibt, der Presse entnommen. Mit Ihrer weiterhin aufrechterhaltenen Forderung ignorieren Sie nicht nur fundierte Ergebnisse wissenschaftlicher Studien, sondern Sie blenden geradezu fahrlässig auch die geltende Rechtslage aus und diskreditieren und kriminalisieren Jugendliche und einen höchst innovativen Wirtschaftszweig.
Bereits jetzt ist gemäß § 131 StGB ein Verbot von Medien vorgesehen, die Gewalt verherrlichen, verharmlosen oder die Menschenwürde verletzen - dies auch im Hinblick auf „menschenähnliche Wesen". Für diese Medien gilt ein generelles Verbreitungs- und Herstellungsverbot, so dass Computerspiele, wenn sie die genannten Voraussetzungen erfüllen, bereits heute unter § 131 StGB fallen und verboten werden können, egal ob es sich dabei um Offline- oder Online-Spiele handelt.
Wohl wissend, dass das Strafgesetzbuch im § 131 ein generelles Verbreitungs- und Herstellungsverbot von Medien unter den beschriebenen Prämissen vorsieht, wird jetzt wieder so getan, als ob es Handlungsbedarf gebe. Dies verschärft allenfalls Politikverdrossenheit, die auch entstehen kann, wenn der Staat so tut, in der Vergangenheit nichts unternommen zu haben. Gleichzeitig werden in geradezu verantwortungsloser Weise junge Menschen diskreditiert. Gamer sind keine Amokläufer.
Der angesprochene § 131 StGB bildet die dritte Stufe eines der vorbildlichsten, weitreichendsten, konsequentesten und wirkungsvollsten Jugendmedienschutzgesetze weltweit. Das zu Grunde liegende Konzept der Dreistufigkeit hat sich bewährt. Unsere Jugendmedienschutzgesetze finden internationale Anerkennung und daher auch innerhalb der Europäischen Union zu Recht Nachahmung und Etablierung. Auch die Wirtschaft ist ihrer Selbstverpflichtung wirkungsvoll nachgekommen, sodass auch diese Polemik der IMK völlig fehl am Platz ist.
Auch der Koalitionsvertrag zwischen SPD und CDU/CSU hatte vorgesehen, dass auch das beste System laufend auf seine Wirksamkeit kontrolliert werden muss, um so auf Fehlentwicklungen reagieren zu können. Aus diesen Gründen war schon vor Jahren das Hans-Bredow-Institut in Hamburg beauftragt worden, das geltende Recht des Jugendmedienschutzes umfassend zu evaluieren. Auf der Grundlage des Evaluationsberichts war es möglich, auf solider rechtstatsächlicher Grundlage Schwachstellen des Jugendmedienschutzsystems zu erkennen und mögliche Vollzugs- oder Normsetzungsdefizite durch zielgenaue Maßnahmen abzustellen. Dies betraf beispielsweise die Alterskennzeichnung.
Dessen ungeachtet ist deutlich geworden, dass wir in Deutschland offensichtlich weniger ein Normsetzungsdefizit, als vielmehr ein von den Ländern zu verantwortendes Vollzugsdefizit haben. Dies zeigen uns leider Testkäufe, die belegen, dass der Kauf von nicht für die Altersstufe freigegebenen Medien an Jugendliche in allen Bundesländern möglich ist. Hier müssen Kontrollen, für die Ihre Länder Verantwortung tragen, effektiver werden. Bevor daher nach Verboten und neuen gesetzlichen Regelungen gerufen wird, kann an dieser Stelle angesetzt werden. So müssen geltende Altersbeschränkungen durch geeignete Maßnahmen des Handels noch wirksamer umgesetzt werden. Denkbar sind die räumliche Trennung von altersbeschränkten Angeboten, auch hier die Ermöglichung von Testkäufen und die Umrüstung der Kassensysteme. Wirtschaft und Industrie zeigen sich an dieser Stelle im Übrigen kooperativ, sodass es falscher Anschuldigungen durch die Innenminister nicht bedarf.
Parallel zur notwendigen verstärkten und überdies effektiveren Kontrolle zeigt sich aber auch, dass zur Umsetzung eines wirksamen Kinder- und Jugendmedienschutzes die Förderung und Stärkung von Medienkompetenz schon in Kindergarten, Schule und im Bereich der Jugendarbeit stehen muss. Medienerziehung und Medienverantwortung sind für einen modernen Kinder- und Jugendschutz von großer Bedeutung. Dies alles setzt eine ehrliche und offene Diskussion über die Situation in den Schulen und in den Familien voraus, aber auch eine Sensibilisierung von Eltern, Geschwistern, Mitschülern und Lehrern für das Thema ist unabdingbar. Einzelgänger, wie der von Emsdetten, müssen früher aufgefangen werden. Dass in Karlsruhe mit der IFNG auch eine Elternveranstaltung abgesagt werden musste, ist ein Teil der Folgen der von den Innenministern seit geraumer Zeit geführten absurden Debatte.
Sofern es nicht nur darum geht, eine ganze Generation von Jugendlichen zu diskreditieren sollte folgendes gewährleistet werden:
- die Verstärkung der Ermittlungsbemühungen der Staatsanwaltschaften der Länder im Bereich des § 131 StGB - die Sicherstellung der Einhaltung des Jugendschutzes durch den Handel - ein stärkeres Engagement zur Verbesserung der Medienkompetenz bei Kindern, Geschwistern, Eltern oder Lehrern - stärkere und differenzierte Information der Öffentlichkeit über Chancen sowie Gefahren von Computerspielen - die Stärkung der aufsuchenden Sozialarbeit / Schulpsychologen, die in vielen Ländern massiv abgebaut wurde - Einwirken auf die Wirtschaft für besseren Jugendschutz durch Technik (Sicherheitsvorkehrungen z.B. bei PC-Software oder Spielekonsolen).
Gleichzeitig sollten Sie mithelfen, unseren auf Bundesebene initiierten Computerspielepreis und die "Positivliste" zu einem Erfolg zu machen.
Ich fordere von den Innenministern aller Parteien endlich eine Sachdebatte statt der Herstellung und Verbreitung populistischen Unfugs und freue mich daher ausdrücklich, dass wenigstens in den Ländern Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen offensichtlich Fachkunde zu diesem Thema vorhanden ist.
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